Mein Steininger

Die Kunst von Erich Steininger begleitet mich eigentlich bereits mein ganzes Leben. Schon als Kind bewunderte ich seine ausdrucksvollen Bilder in der Wohnung meiner Eltern und von Zeit zu Zeit bei Ausstellungen in der alten Volksschule in Kirchbach. Ich erinnere mich auch noch gut an den Künstler selbst, an seine ruhige und freundliche Ausstrahlung und sein herzliches Lächeln, das er immer für uns Kinder übrig hatte. 

Die Landschaft des Waldviertels besitzt eine ganz besondere Magie, die sich erst richtig entfaltet, wenn man sie einmal selbst dort erlebt hat: Raues Klima, weiche Hügel, wo nur die vielen imposanten Granitblöcke noch an das majestätische Hochgebirge erinnern, das hier einmal bestand. Kleinteilige Felder, die sich hinter den Höfen länglich dahinziehen und das Waldviertel selbst vom Flugzeug aus betrachtet unverwechselbar machen. Und die verlässlichen 5 Grad kühler, die es in der kalten Jahreszeit in ein Wintermärchen und im Sommer in ein wohltuendes Refugium verwandeln, in dem man der brütenden Hitze der Stadt noch entfliehen kann.

 „Mein“ Steininger zeigt ein Stück dieser Landschaft und war ein Geschenk meines Vaters – mein erstes Stück Kunst, meine Verbindung zum Waldviertel in Zeiten, in denen mein Lebensmittelpunkt woanders lag und ich nur selten „rauf“ kam. Das Bild erinnert mich an meine Kindheit – an lange Sommerferien, Klettern auf Granitblöcken, Springen über die Steine im Kamp, Schwammerl suchen in den unendlichen Wäldern, den Geschmack der frisch ausgegrabenen Karotten im Garten meiner Oma. Es überstand mehrfache Umzüge, rauchschwangere Party-Nächte und geschmacklich fragwürdige Bildnachbarn. Und nun hängt es im Zentrum unserer Wohnung – über dem Esstisch – und dient als Lieblings-Hintergrundmotiv für Fotos an Geburtstagen, zum Beispiel an dem meiner kleinen Tochter. Sie ist somit die nächste Generation in unserer Familie, die besondere Momente ihres Lebens mit Erich Steiningers Kunst verbinden wird.

Mein Bild repräsentiert für mich einfach wunderbar das Waldviertel – schlicht, aber nicht einfach, zurückhaltend und trotzdem auffallend. Zeitlos schön. Und so wie ich meine Kindheit gerade durch meine Tochter irgendwie nochmal durchlebe, sind Vergangenheit und Zukunft zeitlos verbunden in der rauen aber so schönen Landschaft des Waldviertels. Und durch das künstlerische Fenster über meinem Esstisch spüre ich seine Magie auch in Wien.

Elisabeth Wagner

November 2021

Die große, gelbe, alte Schule

Grafikkabinett Erich Steininger in Kirchbach bei Rappottenstein also. Laut Google Maps führen alle Wege ans Ziel: Sandl, Königswiesen, St. Georgen am Walde, Pöggstall, Ottenschlag. Ich nehme das Yspertal, weil ich da den Gasthof Drei Hacken in Ysper zumindest von außen anschauen kann. Es ist Lockdown, der Wirt hat zu. Umso erfreulicher, dass der Zigarettenautomat vor der Tür funktioniert.

Die ursprüngliche Waldviertler Schönheit liegt in ihren Details, heißt es. Bäume, Steine, kugelrund und mannshoch, Sägewerke und immer wieder Wasser. Peter Alexander soll im Kleinen Kamp gern seine Fliegenrute ausgeworfen haben. Im Schatten der Ehrfurcht einflößenden Burg Rappottenstein ist der Kamp wirklich klein, ein Bächlein, in dem sich trotzdem die Forellen tummeln und Kringel hinterlassen, wenn sie nach den Fliegen steigen.

Das Grafikkabinett also. Es ist alles andere als ein kleines Kämmerchen. Es ist Kirchbachs große, gelbe, alte Volksschule. Es gibt Klassenzimmer, Schüler-Klos, einen Gang, in dem man das Läuten der Pausenglocken fast noch hören kann, und einen Garten, der früher wohl der Schulhof war. Neben dem halb verfallenen Geräteschuppen stehen die Überreste eines riesigen Baumes. Der Stamm misst drei Meter, mindestens.

Schwarz-weiße Drucke, feine Linien, großformatige Monotypien. So kenne ich Erich Steininger und verbinde ihn – obwohl der Stil kaum unterschiedlicher sein könnte – immer mit HAP Grieshaber. Beide waren begnadete und besessene Holzschneider. Druckstöcke stehen, lehnen und liegen im Grafikkabinett in jeder Ecke, in jedem Winkel. Dazwischen eine Modelleisenbahn, Bilder, Dutzende Bücher, wieder Bilder, Rahmen und Ausstellungskataloge. Chaos, wenngleich geordnet, fast wie auf Steiningers Bildern.

Meine Zeichnung in Orange, die ich im Sommer 2019 zum ersten Mal sah, als Barbara und Florian zum trauten Paar wurden, ist noch da. Sie liegt im riesigen Ladenschrank, im zweiten Fach von oben. Es müssen Zigtausende Arbeiten sein, die hier im ausgebauten Dachboden lagern. Zeichnungen, Holzschnitte, Lithografien und Radierungen und die raren Monotypien, die mich am meisten faszinieren. Sie sind der umständlichste Weg der bildenden Kunst.

Auf der Heimfahrt bleibe ich bei den drei Hacken in Ysper kurz stehen und schaue, ob meine Zeichnung in Orange, also die, die ich im Sommer 2019 zum ersten Mal sah, noch da ist. Wenn die ursprüngliche Waldviertler Schönheit in ihren Details liegt, dann liegt die wahre Schönheit in meinem Kofferraum.

Die Zeichnung in Orange hängt jetzt in meinem Zimmer. Es ist das Kabinett, in dem ich arbeite, schreibe, manchmal schlafe und Fliegen binde. Im Sommer hole ich sie raus, die Waldviertler Forellen. Im Schatten der Burg, und nicht weit weg von der großen, gelben, alten Schule.

Thomas Grumböck

März 2021