Radierung 

Im Unterschied zum Holzschnitt, den Erich Steininger von Beginn seiner künstlerischen Laufbahn kontinuierlich praktiziert hat, tritt die Radierung mehr in kompakten Zeitabschnitten in Erscheinung. Meist sind es Mappenwerke, in denen sich Steiningers Arbeit mit der Radiernadel manifestiert.

Text: Florian Steininger

Mit Ausnahme der ersten Exemplare aus den späten 1960er Jahren verwendet der Grafiker ausschließlich die kalte, mechanische Technik des Tiefdrucks, vor allem die Kaltnadelradierung. Sie ermöglicht ihm ein direktes, expressionistisches Artikulieren auf der Bildfläche, wenn sich schroffe Grate beim Verletzen der Aluminiumplatte werfen, die im Druck einen samtigen Hof um die gezogene Linie bilden. Die Ätzradierung, bzw. Strichätzung hingegen entspricht mehr dem Zeichnen; durch das gleichmäßige Ätzen in der Eisenchloridlösung entsteht ein homogener Strich. Steininger ging es immer auch um ein flottes Resultat am gedruckten Blatt Papier, ohne allzu viele „drucktechnische“ Zwischenschritte. Das disegno musste sich unmittelbar und so schnell wie möglich erkennbar machen. Raffinierte Einsätze wie vor allem Aquatinta, um samtig körnige Flächen zu erzielen, empfand er als zu großen chemischen Laboraufwand. Die Flächentönung im satten Schwarz erarbeitet sich der Künstler dann vielmehr durch den unermüdlichen Einsatz des Wiegeeisens: Mezzotinto statt Aquatinta. Und wenn Ätzung, dann Direktätzung, die Säure mit Pinsel auf die Platte gestrichen.

Die ersten Strichätzungen von Erich Steininger sind 1968 entstanden; es sind Szenen aus der Waldviertler Bevölkerung, Kirchgänge, Prozessionen, buckelige Apfelbäume, gekrümmte Bauern bei der Erdäpfelernte am Acker, knorrige Vierkanthöfe, in die Senken des dicht bewaldeten Hügellandes hineingepresst. Steininger begreift hier die vor ihm liegende Metallplatte als Projektionsfläche der Zeichen: Zeichen in durchwegs motivischer, symbolischer und narrativer Ausformulierung, die im musterartigen Über- Mit- und Ineinander die Bildfläche parzellieren. Dieses Verständnis von Zweidimensionalität gegenüber dem fingierten Öffnen des Bildraumes ist erkennbar. Es ist mehr ein Übereinander, Nebeneinander und Durcheinander als ein Hintereinander. Zusätzlich abstrahiert Steininger die Wirklichkeit durch den Entzug ihrer Gravitation. Der Künstler verstärkt das Bucklige, Hügelige, das Auf und Ab der Gegend und entzieht den Leuten den Boden unter ihren Füßen, so als würden die Figuren von den extrem gebogenen Feldern und Hügeln abgeworfen werden. Man fühlt sich ein wenig erinnert an Marc Chagalls Stättel-Bilder – ein poetisch-fabulierendes Schweben und Purzeln. Erich Steininger, der Chagall des Waldviertels.

Anfang der 1970er-Jahren verändert sich die Bildanlage entschieden, indem der Künstler der Figur mehr Raum zur Entfaltung gewährt. Anstelle der kleingliedrigen Verteilung über die gesamte Bildfläche, ein klarer Fokus auf das Bildzentrum. In der Radierung Er will vom Kreuz, 1970 fungiert das Kreuz als hierartisches Zeichen, das sich vor uns aufbäumt. Das ländliche Geschehen spielt sich nun im Hintergrund als Beiwerk ab, als Fußnote des eigentlichen Sujets. Er will vom Kreuz zeugt von der körperlich kreatürlichen Passion Jesu Christi. Der Kreuzesstamm als Marterinstrument und Zeichen des Leides.

Über ein Jahrzehnt pausiert der Künstler mit der Radierung, ein Jahrzehnt in dem neben dem Holzschnitt die Lithografie und die Zeichnung im Zentrum sind. 1984 entsteht der Zyklus Tisch. Der Tisch gilt für Steininger prinzipiell als wichtigstes Möbelstück im Haushalt, ist Sammelort der Familie und Zentrum des Kartenspiels. In seinen Arbeiten mutiert das Möbel jedoch zum unliebsamen Instrument. Die Tischtuchspitzen fletschen die Zähne, werden zu verletzbaren Zacken, die Platte verwandelt sich zur Folterbank der hingestreckten Kreatur. Der Tisch kippt, lässt die Figur zu Boden donnern. Lediglich ein Blumenstrauß wird wie in einem Stilllebenbild wohl arrangiert – verdorrte Charakterblumen à la van Gogh.

Das Drama der aus- und hingestreckten Figur auf der Tischplatte erlebt seine Steigerung in den großformatigeren Radierungen, bei denen der Künstler den Menschen näher an uns heranführt. Das physiognomisch Detaillierte verliert gegenüber der Prozessualität an Bedeutung. Die Radierlinien emanzipieren sich sukzessive von der Darstellungsfunktion, werden entschieden freier, spontaner, deuten zwar noch Volumen und Körper an, fransen aber um ihrer selbst Willen aus. In diesem Kanon entsteht die Radiermappe Körper, spontan definierte Figurationen auf der Bildfläche, jedoch ohne Requisite. Es sind Notationen des Fragmentarischen, mehrerer Torsi flottieren im Bildraum, vom Wiegeeisen satt geschwärzte Körperschatten, sowie lediglich mit der groben Linie angedeutete Figuren

Gewichtige Blätter mit Landschaften entstehen 1987. Die Radierplatten messen zumeist 100 x 70 cm, wie etwa die Arbeit Dunkler Hügel, in der sich die Waldviertler Gegend als dynamisches Terrain von Flächen und Linien offenbart. Dominierend ist das schwarze Feld im Bildvordergrund, das dem Werk seine Monumentalität und Massivität verleiht.

Menschenzeichen, die 1988 entstanden sind, finden ihre unmittelbaren Vorläufer und Impulsgeber in den Torso-Holzschnitten von 1986, sowie dem Werkblock Körper, Der Eigenwert der Linie und Fläche gegenüber dem figurativ Erkennbaren sind spannungsreich austariert. Zum einen zeigen sich in den Radierungen Kürzelsysteme, Torsi als Schriftzeichen, zum anderen tritt der Leib in seiner massiven Körperlichkeit wieder in den Vordergrund. Entscheidend und neu ist hierbei das Verhältnis zum Umraum. Raum bestimmt der Künstler durch die komplette Einschwärzung im Mezzotinto als psychologisch determinierte Größe, als Ort des Unbehagens, der Nacht, der existenziellen Grenzsituation. In dieser gewaltigen Leere, in diesem durch Dunkel erfüllten Nichts schweben die Leiber oder sind in die Tiefe hingestreckt.

1989 löst sich schließlich die Linie von der konturierenden Funktion der Figuren- und Körperbeschreibung auf und verwebt sich zunehmend im gesamten Bildraum zu einem vibrierenden All Over. In diesem Netz sind noch deutlich Rudimente des Figurativen erkennbar; das, In- Durch oder Miteinander ist aber deutlich gewichtiger, als die Darstellung des Menschen im Raum, eingelöst im Holzschnittwerk Einander. Darauf folgt 1990 in der Radierung der Zyklus Stückwerk. Dabei werden alle Zonen auf der Bildebene gleichwertig behandelt, Figur und Grund sind nicht mehr voneinander zu lösen, ein ständiges Changieren von Vorne- und Hinten. Ein Dickicht der Formen und Spuren entsteht, so auch der gleichnamige Titel der Radierungen von 1991/92.

Eine große Anzahl von kleinformatigen kammermusikalischen Mappenwerken mit Kaltnadelradierungen sind in den 1990/und 2000er-Jahren entstanden, wie etwa Variables, Nur gerade so, Und dergleichen mehr. Vor allem auf der kleineren Bildfläche dominiert die Figur. Hinzu kommt das variierende Moment mit unterschiedlichen Plattentönen, bzw. mehrschichtigen Überdrucken. Die Farbe kann dann und wann den Bildern einen samtigen Ton oder ein tiefes Glühen verleihen.

In den 2010er-Jahren tritt ein merklicher Hang zum Ornamentalen auf, zu dekorativen seriellen Strukturierungen sowie wieder zu figurativen Kürzeln. Beeinflusst von den geblümten Tapeziererwalzen, die Steininger auch in der Radierung einsetzt, werden Pflanzen auf der Fläche verstreut, und tauchen wohl verteilt aus dem samtigen Grund der Radierung auf. Oft kombiniert der Künstler diese im Druck mehrerer Platten mit figurativen und gestisch abstrakten Kürzeln und Spuren

Die Radierung hat stets ein stimulierendes, gegenseitig befruchtendes Netzwerk mit Steiningers Königsdisziplin Holzschnitt aufgebaut. Alleine die Qualität des flotten Strichs hat sich als dynamisierende beweglich flexible Note für das Hochdruckverfahren erwiesen. Umgekehrt hat der großformatige Holzschnitt die meist kammermusikalische Radierung auf ein monumental orchestrales Maß gehoben. 

Obstbaum in der Mitte

Obstbaum in der Mitte

1968, Radierung, Druck: 42,3 x 30 cm, E.A.

Er will vom Kreuz

Er will vom Kreuz

1970, Radierung, Druck: 49,8 x 33 cm, Auflage: 12

Tisch VIII

Tisch VIII

1984, Kaltnadelradierung, Druck: 24 x 18,8 cm, Auflage: 12

Körper 35

Körper 35

1986, Kaltnadelradierung, Druck: 49,2 x 32,7 cm, Auflage: 10.

Dunkler Hügel

Dunkler Hügel

1987, Kaltnadelradierung, Druck: 94,3 x 64 cm, Auflage: 9

Menschen-Zeichen

Menschen-Zeichen VI

1988, Kaltnadelradierung, Druck: 100 x 90 cm, Auflage: 9

Dickicht XVIII

Dickicht XVIII

1991, Kaltnadelradierung, Druck 49,5 x 40 cm, Auflage: 6

Figürlich IV

Figürlich IV

2007, Kaltnadelradierung mit Ätzung, Druck 50 x 40 cm, Auflage 6

Umso leichter II

Umso leichter II

2011, Kaltnadelradierung, Druck: 50 x 40 cm, Auflage: 6

Umso mehr V

Umso mehr V

2011, Kaltnadelradierung, Druck: 80 x 60 cm, Auflage: 6

Figurendekor II

Figurendekor II

2011, Kaltnadelradierung, Druck 24,5 x 24,5 cm, Auflage: 6

Musterfragment III

Musterfragment III

2011, Kaltnadelradierung, Druck: 80 x 60 cm, Auflage: 6